Joubin Rahimi:
Grandios, dass Ihr wieder dabei seid bei einer neuen Folge von insights!, heute mit Anna-Lena Lüderitz und Joubin Rahimi. Mit dabei haben wir heute im Call, im Interview die liebe Ruth Cremer. Du warst ja schon mal bei uns, hallo, Ruth.
Ruth Cremer:
Hallo. Schön, wieder dabei zu sein.
Joubin Rahimi:
Wir haben schon ganz viel über die Höhle der Löwen gesprochen, aber in diesem Gespräch hast Du auch erzählt, dass Du viel reist, von überall auf der Welt remote arbeitest. Viele Firmen haben jetzt gewisse Herausforderungen in dem Kontext, das wollen wir einmal beleuchten. Und das zweite Thema ist, wie können Unternehmen die Art und Weise, das Wie in der Firma verbessern? Das sind also die beiden Themenkomplexe, und ich würde jetzt erst mal anfangen wollen mit dem Thema Workation und remote arbeiten. Das ist auf jeden Fall etwas, was ich hochspannend finde. Bei uns in der Firma wünschen sich das viele Mitarbeiter, und ich stehe jetzt vor der Frage, wie könnte ich das gut machen? Ich könnte natürlich auch die Kollegen fragen, tun wir auch, aber wo Du gerade hier bist. Was waren so Deine besten Workation-Erfahrungen?
Ruth Cremer:
Die besten Erfahrungen, das ist eine recht komplexe Frage. Ich glaube, bei mir war das Thema, ich habe einfach mal angefangen. Jetzt bin ich selbstständig und weitestgehend alleine oder mit einer studentischen Hilfskraft oder Mitarbeiterin. Das geht sehr gut. Ich habe jetzt keine Firma, die dann leer steht. Es hat mir immer sehr viel gebracht, so ein bisschen aus dem Alltagstrott rausgerissen zu werden. Natürlich muss man auch wirklich den Willen haben, an einem schönen Ort zu arbeiten. Ich finde es immer schön, wenn Leute sagen, du arbeitest, wo andere Urlaub machen. Ach, wie toll! Und dann sage ich immer, ja, ich ARBEITE, wo andere Urlaub machen. Das muss man auch wollen. Das muss man für sich rausfinden, wie das funktionieren kann, dass man das dann tatsächlich tut und nicht nur am Strand liegt. Und ja, ich habe für mich festgestellt, dass ich auch in solchen Umgebungen sehr gut produktiv sein kann. Und habe über die Jahre festgestellt, dass es tatsächlich immer mehr Unternehmen gibt, auch größere Unternehmen, die das ihren Mitarbeitern ermöglichen. Es scheint also doch irgendwie zu gehen. Gerade in den typischen Bürojobs, seien wir mal ehrlich, braucht man für das, was wir tun, meistens nur Internet. Meistens braucht man nicht wirklich irgendwelche Infrastruktur aus dem Büro oder irgendwelche Unterlagen. Oder man hat sie, man kann sie digital haben. Da gibt es auf jeden Fall bei dem klassischen Bürojob meistens sehr einfache Lösungen. Und es tut auch vielen Unternehmen gut, das habe ich jetzt in der Coronapandemie sehr viel miterlebt. Diese Diskussion um Meetings, es tut auch sehr vielen Unternehmen gut, Meetings extrem zu reduzieren auf das, was wirklich nötig ist. Und siehe da, dann hat man auf einmal eine höhere Produktivität, weil man nicht ständig mit anderen Leuten rumsitzt und rumdiskutiert.
Anna-Lena Lüderitz:
Das fand ich einen sehr, sehr spannender Punkt gerade. Zu Beginn der Pandemie habe ich nämlich auch angefangen, im Homeoffice zu arbeiten, für zwei volle Jahre. Zu Beginn hat sich das sehr schwer gestaltet für mich, weil ich da erst mal reinfinden musste. Es war ein ganz anderer Fokus plötzlich. Heute kann ich sagen, ich arbeite sehr gerne von zu Hause. Du hast eben aufgegriffen, man muss den Willen haben, da zu arbeiten, wo andere Urlaub machen. Hast Du da irgendwelche Tipps, die Du den Zuhörern mitgeben kannst, wie man das vereinbaren kann, an einem schönen Ort zu sein und trotzdem den Fokus auf die Arbeit zu behalten? Und natürlich auch noch das schöne Land anzusehen, da die Waage zu finden.
Ruth Cremer:
Ich glaube, bei mir war es vor allen Dingen, dass ich mir immer versucht habe klar zu machen, dass es ein Privileg ist, dass ich da sein kann und länger da sein kann als für zwei, drei Wochen, nämlich auch mal sechs Wochen oder länger, wenn man eben möchte. Und dass das aber seinen Preis hat, dass es halt kein Instagram-Leben ist, sondern dass man da noch andere Dinge tun muss. Es kommt viel auf Mindset und Motivation an. Auf der anderen Seite, was mir am Anfang sehr geholfen hat, war, mir immer so Themen vorzunehmen, dass ich sage, okay, ich habe eine gewisse operative Arbeit, die ich natürlich erfüllen muss, und ich habe Coachings, die ich mache. Ich meine, da ist es relativ einfach, wenn man solche festen Termine hat, weil dann muss man online sein. Auf der anderen Seite habe ich aber dann versucht, bestimmte Arbeitsblöcke oder -pakete mitzunehmen, die ich dann am Ende erfüllt haben wollte und dann so jede Woche mal Revue passieren lasse, wie hat es bisher geklappt? Habe ich wirklich schon daran gearbeitet oder wie weit bin ich damit? Ich bin dann quasi immer mit bestimmten Zielen weggefahren, um dann hoffentlich mit bestimmten Ergebnissen wiederzukommen.
Anna-Lena Lüderitz:
Ich kenne Deinen Arbeitsalltag in Deutschland nicht, wie strukturiert er ist und ob Du jeden Morgen um acht anfängst und am Abend zu einer gewissen Uhrzeit den Laptop zuklappst. Aber spannend finde ich, ob Du das dann auch in die Workation nimmst, also ob Du Deinen Alltag aus Deutschland dann auch auf die Workation projizierst. Oder ob Du da dann tatsächlich etwas Neues für Dich findest, wie Du den Tag startest.
Ruth Cremer:
Eines meiner ganz großen Privilegien der Selbstständigkeit, der Unabhängigkeit ist, dass ich meinem eigenen Rhythmus nachgehen kann. Du kannst ja mal versuchen, mich um acht Uhr morgens anzurufen. Das wird nicht klappen, weil ich bis neun Uhr oder so mein Handy im Schlafmodus habe.
Anna-Lena Lüderitz:
Das ist ja löblich.
Ruth Cremer:
Der geht allerdings auch erst um elf Uhr abends wieder an, das ist einfach mein persönlicher Rhythmus. Ich habe mich nie damit wohlgefühlt, mit diesem sechs, sieben Uhr aufstehen und dann um fünf Uhr Feierabend machen. Das kann ich nicht, weil ich um fünf, sechs, sieben meistens nochmal einen extrem krassen Flow habe und das für mich keine Zeit zum Aufhören ist. Aber für mich ist acht, neun Uhr eben auch keine Zeit zum Anfangen. Im Endeffekt geht es ja gar nicht darum, das Maximale aus sich herauszuholen, sondern es geht darum, mit dem eigenen Rhythmus zu leben und zu arbeiten. Und das ist natürlich im Homeoffice, glaube ich, für viele einfacher als in Firmen, weil keine Arbeitszeit und so weiter. Für mich hat das nie gepasst, ich habe es zweimal für ungefähr anderthalb Jahre versucht. Ich habe mich schrecklich dabei gefühlt. Ich war schrecklich unproduktiv und musste irgendwann einsehen, dass es einfach nicht funktioniert. Das ist natürlich ein Riesenprivileg, das Homeoffice oder das remote Arbeiten. Aber um auf Deine Frage zurückzukommen, was nehme ich von zu Hause mit ins remote Office? Ich würde gar nicht sagen, dass mein Rhythmus zu Hause so anders ist, weil ich habe eigentlich gar keinen. Ich bin ein fürchterlich unstrukturierter Mensch, was so den Tagesablauf angeht, weil ich auch so viele verschiedene Projekte und Dinge habe, dass mein Tagesablauf eigentlich nie der gleiche ist. Der ist einfach immer anders. Und wenn ich beim Dreh bin, dann muss ich teilweise um 4.30 Uhr aufstehen, das ist wieder ganz anders. Ich versuche, mir immer Ziele für den Tag zu setzen. Es ist auch so ein Ding, wenn wir gleich zum Unterschied Start-ups und Corporates kommen. Ich glaube, was Start-ups extrem lernen müssen, um überhaupt etwas zu werden, ist dieses zielorientierte Arbeiten, anstatt irgendwie zeitorientiert oder aufgabenorientiert. Und das ist auch das, was ich versuche für mich umzusetzen, auch zu tracken. Und da ist es egal, wo man ist. Wenn ich sage, ich will heute mindestens das schaffen, idealerweise das, und Traum wäre, wenn ich dann das auch noch schaffen würde oder wenn ich dieses Ergebnis auch noch rausholen würde. Das lässt sich einfach wunderbar überall anwenden.
Anna-Lena Lüderitz:
Das fand ich gerade einen sehr interessanten Punkt, dass Du sagst, gar nicht so sehr an der Arbeitszeit orientieren, sondern an einer To-do-Liste. Das finde ich einen sehr spannenden Punkt, bei dem ich mir schon sehr oft gewünscht habe, dass man den viel mehr lebt, auch in der Unternehmenskultur in Deutschland, generell überall. Ich weiß nicht, wie Du das siehst, Joubin. Wie stehst Du zu Arbeitszeit?
Joubin Rahimi:
Also, das Zielorientierte ist super. Da muss man aber ein bisschen unterscheiden zwischen der Tätigkeit bei mir oder auch im Sales und im Vertrieb und Marketing. Das ist zielorientiert, da ist die Zeit wirklich irrelevant. Wenn wir bestimmte Aufträge haben, dann ist es Zeit gegen Geld. Das ist total blöd. Da hat der Mitarbeiter nicht wirklich die Chance, weil er bekommt Zeit gegen Geld, sowie eigentlich auch der Mitarbeiter- oder der Anstellungsvertrag ist: Zeit gegen Geld, da ist die Grundlage schon blöd. Ich will nicht sagen, dass es keine Möglichkeiten gibt. Die Frage ist natürlich, in welchem Konstrukt man da ist. Wenn wir für einen Kunden 160 Stunden im Monat eine Dienstleistung erbringen, dann ist diese Zeiteinheit schon so, weil der Kunde noch gar nicht weiß, was er haben will. Wir haben aber auch Dienstleistungen, die sind serviceorientiert. Und da ist es etwas anderes, da spielt die Zeit direkt nicht monetär eine Rolle. Da wollen wir auch mehr hin, weil es zum einen skalierbarer ist und weil die Tätigkeiten dann wertvoller sind, wenn du die Sachen so aufbaust, dass du skalieren kannst, ist es wertvoller. Und dann hast du natürlich auch die Möglichkeit, attraktivere Jobs anzubieten und somit bessere Kolleginnen und Kollegen zu bekommen, die dann mehr auf dem Kasten haben. Und da sind wir so in einem Shift. Am liebsten würde ich allen sagen, macht zeitlich wie ihr wollt und guckt, dass die Sachen dort funktionieren, dass wir alle zusammen genug zu essen haben, wachsen können, uns weiterbilden können. Das ist mein Herzenswunsch, ist aber gar nicht so einfach, das zusammenzubringen. Ich glaube, für einen Konzern ist das noch schwieriger.
Ruth Cremer:
Kann ich total verstehen. Ich muss da nur noch mal ganz kurz einhaken. Ich habe anfangs auch immer gedacht, okay, Zeit gegen Geld, da kann ich nicht viel machen. Ich versuche mich aber immer extrem an dem Wert und dem, was dahintersteckt von meiner Seite, zu orientieren, was zum Beispiel meine Preise angeht. Ich habe teilweise für den gleichen Zeitaufwand völlig andere Preise, weil ich zum Beispiel sage, wenn ich einen Workshop gebe, hängt da wahnsinnig viel verdichtetes Wissen hinter. Wenn mich jemand für ein Coaching für eine gewisse Zeit bucht, für einen Tag oder so, da arbeite ich sehr gerne mit Pauschalen. Wir haben ein Ziel, und wenn wir das erreicht haben, dann ist Schluss in dem gewissen Rahmen. Es kommt gar nicht so darauf an, wann meine Zeit um ist, sondern es kommt darauf an, wann der Kunde den Wert von mir bekommen hat, den er brauchte. Und da versuche ich, mich daran zu orientieren, und so habe ich auch meine Preise gestaltet. Das funktioniert eigentlich ganz gut. Manche sagen natürlich dann, gerade bei Workshops, das ist aber teuer. Und dann zähle ich auf, was sie dafür bekommen und warum ich der Meinung bin, dass sie das woanders in dieser Form nicht bekommen. Und dann funktioniert es meistens. Man muss sehr viel ans Mitdenken appellieren, aber es geht, wenn man will.
Joubin Rahimi:
Es kommt auf das Geschäftsmodell darauf an, das sehen wir auch. Die Geschichte mit dem Ingenieur, der zum Schiff gerufen wurde, weil der Motor nicht funktionierte. Er war der Letzte, den sie fragen konnten, alle anderen haben schon versagt. Nach zehn Minuten ist er fertig, und dann bekommen die eine Rechnung über 20 000 und sagen, du warst doch nur zehn Minuten da, ich will eine andere Rechnung haben. Dann schickt er eine Rechnung und sagt, zehn Minuten Arbeitszeit 50 Euro, und die restlichen 19 950 Euro für 35 Jahre Erfahrung.
Ruth Cremer:
Exakt, das ist auch mein Argument immer.
Joubin Rahimi:
Bei einigen Sachen können wir das super machen, gerade bei den Coachings, Softwareauswahl und so weiter. Wenn wir aber für einen Konzern sagen, die brauchen sechs Softwareentwickler, weil die 500 Softwareentwickler haben, da machst du nichts. Die Frage ist, wollen wir da rein oder nicht?
Ruth Cremer:
Aber es ist ja der Kunde, der es nicht akzeptiert, oder? Aber das heißt ja nicht, dass es unmöglich wäre.
Joubin Rahimi: Ich glaube, da ist das Setup hier grundlegend anders. Der Kunde sagt, ich habe eigenes Personal, ich habe Personal von außen, und ich brauche einfach mal menschliche Kapazität, und die wird in Stunden gemessen, und wir können gar nicht sagen, das ist es uns wert.
Anna-Lena Lüderitz:
Das ist der Punkt, wo einfach das Mindset generell eine Veränderung braucht, nicht nur bei uns, sondern generell in jeglichen Branchen oder Unternehmen, dass das in der Summe funktionieren kann. Klar, das kann man unternehmensintern machen, aber wenn man dann nach außen geht und Mitarbeiterkapazität quasi verkauft und das Unternehmen das noch nicht so lebt, dann ist das verständlich, dass das superschwer ist.
Joubin Rahimi:
Es ist auf jeden Fall spannend, weil wir jetzt einen Diskurs haben, total schön. Aber von meiner Warte aus, entweder wir machen das Geschäftsfeld nicht und wir machen einfach nur Festpreis oder Werkverträge und versuchen, die so zu platzieren, oder man ist halt in diesem Zeit-gegen-Geld-Thema, weil es nicht klar ist, was sie machen. Wir haben ja Kollegen, die sind dann beim großen Konzern, und da wissen die nicht, was die in Woche zwei, drei oder vier machen, weil das in diesem Gesamtprojektplan ist. Das ist ein bisschen uncharmant, nennt sich auch Body Leasing, schrecklicher Begriff dafür.
Ruth Cremer:
Ich verstehe das total. Aber es ist ja dann der Kunde, der es auch nicht anders sehen will, der diese festgefahrenen Strukturen hat und da einfach auch nicht umdenken kann. Aber ich bin trotzdem der Meinung, wenn alle es wollten, wäre es auch nicht unmöglich. Und ich glaube auch, dass es insgesamt nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch den Firmen guttäte, zu schauen, kann man das nicht in Ergebnissen definieren?
Joubin Rahimi:
Schlussendlich will man ja Ergebnisse, und agile Softwareentwicklung geht ja auch in diese Richtung, das an Ergebnissen zu messen. Das ist total gut. Ich bin froh, dass die Konzerne jetzt immer mehr sagen, es müssen nicht alle an einen Ort. Teilweise ist das okay, aber wenn man es remote macht, hat man natürlich die Möglichkeit der Workation, ich mache es von irgendeinem ganz anderen Ort, der zu meiner Lebensphase besser passt. Da merken wir, da werden die Unternehmen offener, dass sie sagen, die Kollegen müssen nicht immer vor Ort sein, das ist nicht so wichtig. Wir sind eine remote company geworden, und das ist dann schon schöner.
Ruth Cremer:
Es ist schon spannend, wie sich das so umshiftet. Früher habe ich auf meinen Reisen eigentlich nur Selbstständige und Unternehmer getroffen, jetzt treffe ich auch immer mehr Festangestellte. Schon spannend.
Anna-Lena Lüderitz:
Ja, das ist auch etwas, das wir als Positives aus der Pandemie herausnehmen konnten, dass da zu einer gewissen Zeit der Zwang war, dass da remote gearbeitet werden musste. Und die Unternehmen gemerkt haben, die Arbeit wird trotzdem erledigt, was man vorher vielleicht nicht vermutet hätte. Das Vertrauen war vielleicht auch nicht genügend da, um die Mitarbeiter einfach mal laufen zu lassen. Ich hoffe sehr, dass das in Zukunft noch weiter wachsen wird und dass das jetzt, wo die Pandemie ihr Ende nimmt, nicht wieder zurückgeschraubt wird, sondern dass wir da weiter voranschreiten.
Ruth Cremer:
Dann bin ich auch mal gespannt.
Joubin Rahimi:
Genau vor zwei Jahren hatte ich ein Telefonat mit einem Kunden, die haben Teams eingeführt, die hatten Office365-Einführung, dann Teams-Einführung, und ich habe mit dem Bereichsleiter zu dem Thema gesprochen, wie es so läuft. Und er lehnte sich so zurück und meinte, ich habe in den letzten zwei Wochen mein Ziel für dieses Jahr erreicht. Was war denn das Ziel? Einführung Office365 und Teams für alle Mitarbeiter. Die hatten ein gesamtes Jahr vorgesehen, und dadurch, dass sie mussten, ging es halt ruckzuck durch diese ganzen Gremien – Betriebsrat, HR und Co. Das größte Problem war die Beschaffung von genügend schnellen, mobilen Endgeräten, Laptops und Co. Das hat man auch hinbekommen, und seitdem sind sie noch relativ stark remote. Aber ich bin mal gespannt, wie sich das jetzt ändert, wenn wir wieder in die alten Strukturen fallen könnten. Bei uns werden wir es nicht machen. Wie können die Unternehmen noch von den Start-ups lernen?
Ruth Cremer:
Dieses WIE ist immer die große Frage. Ich glaube, Aufgabenorientiertheit ist eine Sache. Start-ups haben einfach eine viel stärkere Notwendigkeit, jegliche Form von Zuviel zu reduzieren, das loszuwerden. Und durch diese Notwendigkeit sind sie da eine ganze Ecke brutaler. Ein ganz großes Thema sind die Meetings, auf LinkedIn ist auch alles voll davon, wie man Meetings reduzieren, die Zeit reduzieren kann. Ich kenne das selber aus meiner Firmenzeit, dass ich mir oft gedacht habe, heute sind wieder drei Meetings, da bekommst du wieder nichts geschafft. Und dann bin ich aus dem dritten Meeting raus und habe mir gedacht, was für ein bescheuerter Tag! Weil irgendwie hat es nichts gebracht, meine Anwesenheit war gar nicht nötig beziehungsweise ich hätte auch nur zu meinem Punkt kommen können. Es war einfach total sinnlos. Und das ist halt etwas, das können sich Start-ups nicht lange erlauben. Oft ist es so, dass man die Mitarbeiter gerade so bezahlen kann. Es ist eine schwierige Überlegung, ich brauche hier dringend noch jemanden, aber kann ich mir den leisten? Und wenn ja, dann muss ich denjenigen natürlich auch möglichst sinnvoll nutzen. Da wäre es an Selbstmord grenzend, wenn ich den die ganze Zeit in Meetings schicken würde, diesen teuren neuen Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin. Das ist schon so ein Punkt, diese Effizienz, dieses effizient sein müssen. Was auch ein Punkt ist, was ich bei größeren Firmen echt als ein Problem ansehe, ist, die Tools wählen, die funktionieren. Man hat dann eine total aufwendige Office-oder-was-auch-immer-Einführung, und wenn man nach zwei Wochen merkt, das ist total ineffizient, das funktioniert nicht richtig oder die Leute nutzen es nicht und keiner hat Bock darauf, dann kann ich es halt nicht so einfach rückgängig machen. Da wäre die Frage, kann man das erst in kleineren Gruppen ausprobieren, gibt es da irgendwie Möglichkeiten? Da bin ich jetzt überhaupt keine Fachfrau für, aber ich sehe es immer wieder. Jedes Mal, wenn ich in einem Unternehmen gearbeitet habe, musste ich mit Tools arbeiten, die meine Produktivität regelrecht ausgebremst haben, weil es entweder nicht richtig funktioniert hat oder blöd aufgesetzt, nicht zu Ende gedacht war, was auch immer. Und das ist natürlich etwas, was in Start-ups wesentlich einfacher geht, wo man auch nicht ganz so empfindlich ist mit Sicherheit und so weiter, was auch nicht immer gut ist, aber wo man halt schneller mal was ausprobiert und auch schneller mal wechseln kann, wenn irgendwas nicht funktioniert. Fehlerkultur ist auch noch ein ganz großes Ding. Hält man sich lange auf an diesem „whom to blame“, also wer war schuld? Oder sagt man, okay, wie machen wir jetzt weiter? Das ist auch wieder so was, da können sich Start-ups einfach nicht erlauben, ewig Zeit mit zu verbringen. Und dann ist das Vertrauen in die Mitarbeiter noch ein ganz wichtiger Punkt. Ein Start-up stellt niemanden an, von dem es nicht total sicher sein kann, das ist jemand, der absolut seine Aufgabe erfüllt, jemand, dem wir damit in dem Bereich trauen können und den wir nicht ständig kontrollieren müssen. Das kann man sich nicht erlauben. Und das habe ich oft in großen oder in größeren Firmen erlebt, dass dieses Ihr-müsst-hier-im-Office-Sein auch viel mit Kontrolle zu tun hat. Ganz ehrlich, wenn ich mich da mit meinen Mitarbeitern daran aufhalten würde, würde ich zu gar nichts mehr kommen. Das ist mir sowas von fern, in irgendwelche Stunden oder Aufzeichnungen zu schauen, ob die ihre Stunden gemacht haben. Was für mich zählt, ist, dass die ihre Arbeit machen, dass sie mir ihre Ergebnisse zuschicken und ich dann sehe, ich kann damit weiterarbeiten. Wenn nicht, dann geht es zurück und man überlegt, wie kann man da vielleicht besser kommunizieren oder whatever. Das spielt sich dann ein und irgendwann läuft das, da brauche ich nicht in irgendwelche Zeittabellen zu schauen.
Anna-Lena Lüderitz:
Ich stimme Dir voll und ganz zu, was die Fehlerkultur angeht. Ich habe das auch schon von zwei Seiten mitbekommen in meinen jungen Jahren. Ich habe noch nicht ganz so viel Berufserfahrung wie Ihr beide, Ihr seid schon sehr viel länger im Business. Aber trotzdem durfte ich schon die Erfahrung machen, dass man sehr langsam voranschreitet, immer alles absegnen lässt, sehr viele Korrekturschleifen läuft, bevor man irgendwas Neues implementiert, irgendwelche Tools vielleicht. Ich finde, das ist nicht nur eine Sache von Zeitverlust, sondern auch ein großer Punkt von Mitarbeitermotivation. Denn wenn sich alles sehr, sehr lange zieht, neue Dinge, die eingeführt werden, viel Zeit benötigen, man sich fünf Genehmigungen abholen muss, bevor man wirklich was umsetzen darf, dann überlegt man sich beim zweiten Mal, ob man wirklich noch mal was anstoßen möchte. Zum einen der Zeitaspekt, dass man da wirklich vorankommt und sehr schnell in einem Start-up was umsetzt, wo sich Großunternehmen sehr viel abschauen können. Und eben auch die Mitarbeiter immer mit im Boot zu halten, motiviert zu halten, mitzuziehen.
Ruth Cremer:
Das ist noch so ein Punkt, die Länge der Entscheidungswege und der Aufwand, auch wahnsinnig wichtig. Beim Start-up sind ja kaum Entscheidungswege vorhanden.
Anna-Lena Lüderitz:
Irgendwo sind es zwei Punkte, irgendwo läuft es aber auch in einem zusammen, finde ich. Sehr lange Entscheidungswege sind so ein gewisses Maß von Sicherheit, um Fehlern vorzubeugen. Wo das Start-up dann sagen würde, okay, wir machen das jetzt, wenn es nichts ist, dann korrigieren wir halt danach wieder. Von daher ist das vielleicht doch so ein bisschen miteinander einhergehend. Siehst Du das anders, Joubin? Du sitzt ganz stillschweigend und lauscht.
Joubin Rahimi:
Ja, ich überlege und reflektiere, wie viele Möglichkeiten haben wir und was können wir noch besser machen? Ich glaube, zu Deinem vorherigen Arbeitgeber haben wir schon einen Sprung nach vorne, aber mir geht es immer zu langsam. Das ist auch spannend, nicht nur von den Start-ups zu lernen, du musst schneller sein. Ich weiß nicht, ob Start-ups per se bessere Führungskräfte haben oder nicht. Sie haben einen anderen Druck und führen dadurch vielleicht auch anders. Haben vielleicht auch bei Entscheidungen weniger Konsequenzen. Aber Kern ist, mehr zu übergeben an die Kollegen. Und wenn man Sachen besser machen möchte oder Ideen hat, wie kann man das dann adäquat heranbringen, dass es stützend ist und nicht dazu führt, beim nächsten Mal fragst du nach, weil du willst keinen auf den Deckel bekommen. Und das ist eine Geschichte, die im Konzern, und ich habe ja auch eine Zeit lang im Konzern gelebt, ad absurdum war. Ich hatte einen persönlichen Bewacher innerhalb des Konzerns, der hat mich durch die Prozesse begleitet, weil ich wie Du, Ruth, nicht einfach war. Ich habe Mails geschrieben wie, ihr seid alles Geschäftsführerverhinderer. Geht nicht, das ist total undiplomatisch. Aber das war halt der Frust.
Anna-Lena Lüderitz:
Eine Sache möchte ich hier gerne noch mal aufgreifen. Du hast eben davon gesprochen beziehungsweise darüber nachgedacht, ob die Führungsqualität vielleicht eine andere ist in einem Start-up als in einem Konzern oder größeren Unternehmen. Hier kommen wir, glaube ich, auch wieder auf die Hierarchien zu sprechen. Ich möchte gerne auch die Frage an dich, Ruth, geben, Du hast da mehr Erfahrungen und einen besseren Einblick, inwieweit sich das vielleicht unterscheidet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Start-ups mehr Qualifikationen oder Wissen stecken. Es ist sicherlich schwer zu beurteilen, was da besser oder schlechter ist.
Ruth Cremer:
Insgesamt ist meine Erfahrung, dass die Hierarchien in Start-ups eben wesentlich flacher sind, dass die Leute da irgendwie anders zusammenarbeiten beziehungsweise die höheren Hierarchien das nicht so raushängen lassen. Das fängt schon bei Kleinigkeiten an, dass eben, wenn es ein Backoffice gibt, das Reisen organisiert, das für alle macht und nicht nur für den Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin. Das sind so Kleinigkeiten, wo es in vielen Start-ups, auch oft aus Kostengründen, keine Statussymbole der verschiedenen Hierarchieebenen gibt. Auf der anderen Seite die Führenden aber einen anderen Stil pflegen und kooperativer sind, vielleicht auch ein bisschen mehr zuhören. Es ist alles sehr pauschal, aber vielleicht auch ein bisschen mehr wertschätzen auf irgendeine Art und Weise. Ich weiß, dass ich mich als Chefin überhaupt nicht wohlfühlen würde, wenn ich sagen würde, wir machen das jetzt so. Weil ich einfach möchte, dass das jeder versteht. Natürlich muss ich letztendlich die Entscheidung treffen, ich trage ja auch die Verantwortung. Aber ich möchte schon, dass verstanden wird, warum ich das so entscheide, dass die Leute doch irgendwie mitziehen können. Ich hatte bisher mit niemandem eine Situation, wo ich das Gefühl hatte, derjenige war total dagegen oder so. Sondern es wird dann im Endeffekt mehr oder weniger ein Konsens getroffen, und es fühlt sich nicht für die Beteiligten so an, als ob da jetzt einer die Entscheidung trifft. Es wichtig, dass jeder das Gefühl hat, dass er irgendwie mitredet, auch wenn es hart auf hart käme und trotzdem wieder einer die Entscheidung treffen würde. Aber ich glaube, das kommt in der Realität dann eher selten vor. Und das hat viel mit Wertschätzung zu tun.
Anna-Lena Lüderitz:
Und wahrscheinlich im Zuge dessen auch mit Kommunikation, dass alle mit eingebunden sind. Da sind wir wieder bei den kürzeren Wegen, da schließt sich der Kreis.
Joubin Rahimi:
Ich habe eine These: Die Start-ups haben es viel einfacher, weil die allermeisten Start-ups haben ein „Warum bin ich überhaupt da?“. Darüber machen sie sich Gedanken. Die Mitarbeiter fangen dort an, weil sie nicht den bestbezahlten Job bekommen, sondern weil sie sich mit dem Warum identifizieren. Und wenn ich dann bei Ford in Köln bin, vermute ich mal, dass die meisten sich nicht identifizieren mit dem Warum von Ford. Ich weiß gar nicht, ob Ford ein Warum hat. BMW hat auch kein Warum, ich glaube, das ist wirklich nur Tesla und Elon Musk, der ein größeres Warum drumherum baut, dass er da ganzheitlich nachhaltige Mobilität anbieten möchte.
Ruth Cremer:
Ich glaube, auch Ford hatte irgendwann mal ein Warum. Die haben es nur irgendwie auf dem Weg zum Geldverdienen vergessen.
Joubin Rahimi:
Ja, das kann gut sein.
Ruth Cremer:
Das ist irgendwo liegengeblieben, das Warum.
Joubin Rahimi:
Dann ist es auch viel schwieriger, die Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen, wenn man dieses Warum nicht so richtig hat. Das wäre meine These.
Ruth Cremer:
Ich finde das total spannend, weil ich glaube, da schließt sich tatsächlich so ein bisschen der Kreis zur Workation. Remote arbeiten wird immer mehr der Trend bei Angestellten. Und vielen, die sich deswegen selbstständig gemacht haben, um mehr Freiheit zu haben, hat das so ein bisschen ihren Ursprung genommen. Arbeit und Leben sollen halt irgendwie nicht so getrennt sein, sondern die beiden Punkte verschmelzen mehr. Und das heißt ja auch, dass ich irgendwie mein Warum in der Arbeit brauche, damit ich mich damit voll identifizieren kann. Dieses Arbeiten, um zu leben, und dann irgendwie die zwei Wochen Urlaub im Jahr, das reicht vielen nicht, die wollen eben dieses Mehr. Und dann macht es eben total Sinn, Arbeit und Leben ein Stück weit zu verschmelzen. Und Workation, dieses Konzept, spiegelt das irgendwie sehr gut wider. Dadurch, dass ich meine Arbeit auch woanders machen kann, kann ich dann mehr Zeit an diesem schönen Ort verbringen. Es ist unterm Strich vielleicht gar nicht so viel mehr Zeit, weil ich auch arbeite, aber irgendwie fühlt es sich für mich so an, als ob beides wirklich zusammenpasst und nicht irgendwie mein Leben parallel zur Arbeit läuft und erst dann anfängt, wenn ich abends nach Hause fahre oder so. Und ich glaube, da kommt jetzt eine Generation auf den Arbeitsmarkt, bei der das noch stärker ausgeprägt ist, dieses Warum zu haben, dieses Gefühl haben zu wollen, dass Arbeit und Leben keine parallelen Welten sind, sondern zusammenpassen. Und das wird Arbeitgebern noch viel zu denken geben.
Joubin Rahimi:
Es geht ja nicht mal darum, warum ich arbeite. Okay, ich arbeite, weil ich dann meinen Lebensunterhalt verdiene und nicht, weil die Arbeit Mittelpunkt des Lebens ist. Aber in der heutigen Welt, gerade in Europa und ganz besonders vielen Berufen in Deutschland, ist ja nicht die Frage, warum arbeite ich? Sondern warum arbeite ich dort? Das ist doch eigentlich die Frage. Jeder bei uns in der Firma hat sicherlich die Möglichkeit, woanders zu arbeiten. Insofern ist die Frage, warum arbeite ich jetzt dort? Ich weiß nicht, ob die Antwort ist, Arbeit und Beruf zu mixen (sollte wohl eher LEBEN oder FREIZEIT heißen, nehme ich mal an, statt Beruf. Ist für mich ein Sinnfehler), aber vielleicht das eine mit dem anderen so zu verquicken, dass man drumherum noch mal mehr positive Eindrücke hat und mehr von seiner Freizeit in die Quality Time bewegen kann. Das ist auf jeden Fall, glaube ich, total wertvoll.
Ruth Cremer:
Nicht für jeden. Für manche ist es die Lösung, für mich teilweise auch, das irgendwie zu mixen, weil ich definitiv lebe für das, was ich tue, und mich wahnsinnig freue über jedes Start-up, gerade wenn es so Themen im nachhaltigen Bereich sind, dem ich helfen kann, nach vorne zu kommen. Dann merke ich wirklich, okay, da war jetzt irgendwie ganz viel Belohnung dabei, die irgendwie weit jenseits des Geldes liegt. Aber das muss ja auch gar nicht für jeden sein. Das ist einfach ein starker Trend, dass es eben nicht so megaklar abgegrenzt ist, sondern sich vielleicht ein bisschen verquicken lässt. Workation ist ja so ein bisschen diese eher lose Verquickung, da gibt es noch wesentlich stärkere. Aber ich glaube, dass dieses Modell Ich-fahre-morgens-um-neun-hin-und-um-fünf-zurück-und-dann-fange-ich-an-zu-Leben und Ich-spare-das ganze-Jahr-für-den-Urlaub-und-dann-komme-ich-zurück-und-es-geht-von-vorne-Los einfach ausgedient hat, dass Unternehmen, die sich darauf ausruhen, dass es funktioniert, eben ganz große Probleme kriegen werden. Oder auch schon haben.
Anna-Lena Lüderitz:
Das würde ich tatsächlich so unterschreiben. Da bin ich mit Dir einer Meinung. Das sehe ich auch ganz stark im Kommen. Und Du hattest eben von der Generation gesprochen, die in den Job jetzt eintritt und das Arbeitsleben ein bisschen anders wahrnimmt. Ich bin da so an der Grenze zu dieser Generation, vielleicht zwei, drei Jahre darüber, aber viel mehr nicht. Von daher bekomme ich natürlich mit, was da für Werte wichtig sind, auf was man Wert legt. Und da kann ich das sehr, sehr gut nachvollziehen und unterschreiben, dass das Geld quasi immer weniger wert ist. Und die Lebenszeit, die Quality Time, wie wir es gerade so schön genannt haben, immer mehr an Wert gewinnt. Und deshalb bin ich da ganz stark der Ansicht, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird oder auch ändern muss, um da die junge Generation mit ins Boot zu holen. Für die junge Generation quasi sinnvolle Arbeitsplätze zu schaffen, wo dann auch die Lust und Motivation dabei sind, den Job auszuüben auf lange Sicht.
Joubin Rahimi:
Ich finde Eure beiden letzten Absätze super. Super Schlusswort, ich habe viel gelernt von Euch beiden, für unsere Zuhörer war es sicherlich auch total spannend. Danke! Anna-Lena, danke für das Mitinterviewen von Ruth Krämer.
Anna-Lena Lüderitz:
Vielen Dank, dass ich dabei sein durfte!
Joubin Rahimi:
Gerne, und auch danke nochmal, Ruth, für Deine Zeit.
Ruth Cremer:
Sehr gerne, megaspannendes Thema.
Joubin Rahimi:
Ich hoffe ja, dass wir dazu eine Kommunikation und einen Diskurs in den Kommentaren unten anstoßen. Weil es, glaube ich, grundlegend für uns alle ist. Danke nochmal.