Joubin Rahimi:
Grandios, dass Du wieder dabei bist bei einer neuen Folge von Insights. Mein Name ist Joubin Rahimi und heute zu Gast ist Katja Moritz. Hi, Katja.
Katja Moritz:
Hi, Joubin.
Joubin Rahimi:
Ja, erzähle mal vielleicht ein, zwei Sätze zu Dir, bevor wir in das Thema, das ich noch nicht verraten habe, einsteigen.
Katja Moritz:
Gerne. Hi, ich bin Katja. Ich bin bei brytes User Experience Managerin. Das heißt, ich bin da ganz eng im Austausch mit unseren Kunden, die alle Shopbetreiber sind. Und wir überlegen gemeinsam, wie können wir deren Shops verbessern? Wir geben Handlungsempfehlungen, leiten aus den Daten Handlungsbedarf ab und entwickeln dann konkrete Sachen, die wir für unsere Kunden umsetzen können, um deren Shops zu verbessern.
Joubin Rahimi:
Und ein Video haben wir ja schon mal gepostet, oder ein Interview zum Thema digitale Körpersprache. Das verlinken wir natürlich, sodass Ihr Euch das im Vorfeld auch noch mal ansehen könnt, wenn Ihr die eine oder andere Grundlage für heute dann noch vermisst. Heute geht es ja nicht um das Thema digitale Körpersprache, es geht um das Thema, wie bekomme ich quasi den Trigger, die Werbung zum Menschen hin, dass er etwas tut, das wir von ihm erhoffen, etwa einen Kaufabschluss und Co. Das hat ja einen schönen Namen, „Nudging“ oder in diesem Fall „Digital Nudging“. Aber was ist das genau? Ich habe das jetzt mal mit ganz einfachen Worten beschrieben.
Katja Moritz:
Einfach mal Worte reingeworfen. Also hinter Nudging grundsätzlich steht quasi das Prinzip von Anstupsen, in die richtige Richtung stupsen. Diese Richtung ist natürlich gerade im Bereich vom E-Commerce aus Sicht des Verkäufers, das heißt, vom Shopbetreiber, dass der den Kunden in die Richtung eines Kaufes stoßen möchte. Das Prinzip gilt aber erst mal unabhängig davon, ob es online oder offline stattfindet. Auch im Offline-Bereich erleben wir das wahrscheinlich täglich mehrmals und merken es vielleicht gar nicht. Das kann zum Beispiel sein, dass der Obstkorb im Büro kostenlos ist und daneben liegen Schokoriegel, die kosten einen Euro. Damit möchte der Arbeitgeber natürlich erst mal gesundes Verhalten fördern und ermöglicht dann quasi den kostenlosen Obstkorb. Man hat auch immer die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden. Das ist ein ganz wichtiger Bestandteil vom Nudging. Also man zwingt niemanden, etwas zu tun, sondern man gibt eigentlich nur eine Empfehlung in eine bestimmte Richtung. Aber man muss auch quasi nie diese Richtung annehmen.
Joubin Rahimi:
Die Entscheidung dort ist ja einfach, also Obst oder ich muss ein bisschen etwas ausgeben. Das ist schon die Barriere. Habe ich Geld dabei oder nicht? Dann nehme ich doch die Banane oder den Apfel. Es ist eine Entscheidung, die vielleicht nicht mehr rational ist oder rational anders getroffen werden würde, wenn man das nicht hätte. Vielleicht kannst Du darauf eingehen. Bewegt man den Menschen über eine Schwelle und zwingt man ihn? Auch wenn Du gerade gesagt hast, man zwingt ihn nicht. Was steckt dahinter?
Katja Moritz:
Grundsätzlich kann man sich erst mal menschliches Verhalten anschauen. Wie entscheiden wir uns? Wie fällen wir Entscheidungen? Und da ist man ganz lange von dem Prinzip des Homo oeconomicus ausgegangen, also der rational handelnde Mensch, der komplett auf Nutzenmaximierung aus ist. Das war ganz lange ein Konzept, ist aber mittlerweile eher etwas veraltet, weil es einfach sehr viele Einflüsse gibt, die täglich auf uns einwirken, die unsere Entscheidungen beeinflussen und in Richtungen lenken können. Und das sind dann quasi Verhaltensprinzipien, die Menschen einfach an den Tag legen. Und das Nudging oder auch digitale Nudging nutzt diese Verhaltensprinzipien, um die Kunden dann eben in bestimmte Richtungen zu lenken. Und diese Verhaltensprinzipien sind quasi die Erklärung dafür, warum bestimmte Sachen funktionieren, die in der Werbung vor allem genutzt werden.
Joubin Rahimi:
Und eigentlich ist das ja auch gar nicht so schlimm. Ich bin ja Radfahrer, wie die geneigten Zuhörer wissen. Und beispielsweise so ein Cube oder ein Canyon finde ich total toll, weil die modern sind von der Firmenstruktur her, das hat mit dem Radfahren nichts zu tun. Weil sie aus Deutschland kommen, hat mit dem Rad auch eigentlich nichts zu tun. Und dann ein amerikanischen Cannondale, ist nicht meine Marke. Eigentlich auch wumpe, weil de facto fahre ich nicht wirklich schneller oder langsamer mit dem einen oder anderen Rad. Insofern tut man ja nicht wirklich etwas Schlimmes. Darauf will ich ja erst mal hinaus, man schafft ja Optionen. Die Frage, die ich mir stelle, ist, wenn du diese Option hast, und einige sind ja total einfach, so ein Angebot mit dem Obst oder der grüne Cookie, ich akzeptiere alle Cookie-Button. Welche anderen Mechanismen gibt es denn da noch?
Katja Moritz:
Da gibt es hunderte von Verhaltensprinzipien, die man da nutzen kann. Du sagst es auch gerade, man zwingt ja niemanden. Das kann man theoretisch schon machen. Also es gibt wirklich auch Verhaltensprinzipien, die dann in die Richtung Dark Patterns gehen. Das heißt, Shops nutzen diese Prinzipien und diese Einsatzmöglichkeiten, um das eigentliche Interesse des Kunden nicht zu unterstützen, was das Nudging eigentlich versucht, das ist quasi die positive Auswirkung davon. Sondern die nutzen diese Dark Patterns, um entgegen der Interessen des Kunden zu handeln und ihn zu etwas zu zwingen oder ihn stark zu überzeugen. Das kann zum Beispiel sein, du möchtest dich von irgendeinem Konto abmelden, möchtest das löschen, und dieser Prozess wird dir unheimlich erschwert. Das ist nicht einfach im Konto möglich, sondern du musst erst an den Support schreiben und dann schicken die dir etwas und dann schickst du noch etwas per Post. Das sind einfach Riesenprozesse, die dahinter stehen. Das gibt es also als Option auch. In der Regel wird Nudging aber eher zur Unterstützung von positiven Sachen genutzt, also um deine eigenen Interessen zu stärken.
Joubin Rahimi:
Gibt es einen Kodex oder Digital Codex, was okay ist, was nicht okay ist?
Katja Moritz:
Das muss dann quasi jeder Shop für sich selbst entscheiden, wollen wir uns das zunutze machen? Wir bei brytes machen das auf jeden Fall nicht. Wir wollen Verhalten und Interessen positiv verstärken. Aber wir würden niemanden zwingen, etwas zu tun, was er eigentlich nicht machen möchte oder entgegen seiner Interessen handeln. Weil wir auch davon überzeugt sind, man merkt das ja als Nutzer. Wenn ich als Nutzer zu etwas gezwungen werde, was ich eigentlich nicht möchte oder nach einem Kauf das Gefühl habe, das wurde mir jetzt irgendwie aufgequatscht, dann werde ich auch nicht wieder einkaufen in diesem Shop und dann fühle ich mich als Nutzer auch nicht wohl, da eben noch mal auf diese Seite zu gehen. Und das ist natürlich eigentlich das Schlimmste, was uns da passieren kann. Wir wollen ja, dass die Leute zufrieden mit ihrer Entscheidung sind, zufrieden mit ihren Produkten, die richtige Wahl treffen und dann auch irgendwann wiederkommen.
Joubin Rahimi:
Jetzt komme ich mit einem Beispiel. Ich hoffe, ich bekomme es noch richtig zusammen. Das war in Amerika im Kinosaal. In dem Film wurden dann ganz kurze Sequenzen von einem Erfrischungsgetränk eingespielt. Und dort, wo es eingespielt wurde, war einfach der Wunsch nach dieser Marke deutlich höher als dort, wo es nicht eingespielt worden ist. Und die Menschen konnten sich nicht daran erinnern, das gesehen zu haben, weil das so kurz war. Das packe ich mal unter Dark Pattern. Dark Pattern, das man nicht merkt. Im digitalen Umfeld kann ich mir schlecht vorstellen, dass so etwas möglich ist. Das wäre die erste Frage. Jeder Shopbetreiber kann natürlich für sich selber bis zu einem gewissen Grad Sachen machen. Aber gibt es dort so etwas wie einen moralischen Kompass oder eine ethische Grundlinie? Gibt es da eine rote Linie, wo Du sagst, ab da wäre das zu viel, da wird es böse? Da haben wir gleich drei Fragen auf einmal. Aber fangen wir mal mit der einen an: Gibt es so etwas wie dieses Kinobeispiel auch im digitalen Umfeld oder eine Studie dazu?
Katja Moritz:
In diesem Kinobeispiel geht es ja darum, dass diese Bilder deine Nervenzellen, deine biologischen Prozesse im Körper anregen und du dann, weil du dieses Kaltgetränk siehst, Lust darauf bekommst, weil du denkst, Zucker bringt mich immer hoch, super, brauche ich jetzt mal! Da arbeitet man natürlich mit ganz menschlichen Grundbedürfnissen, die dann befriedigt werden sollen. Und jetzt die zweite Frage, wie kann man es online dann wirklich auch umsetzen? Du musst einfach riesige Hürden aufbauen, um dich von diesem Prozess abzumelden. Das kann dann eben auch sein, dass du das alles vielleicht etwas undurchsichtig gestaltest. Das könnte dann sein, dass die Abbuchungen vielleicht nicht von der App selbst kommen, wenn du eine App auf dem Handy hast, sondern von einem Handybetreiber oder über irgendwelche Zwischenkonten weitergeleitet werden. Das heißt, auf deinem Konto siehst du am Ende eine Abbuchung von fünf Euro, du kannst sie aber nicht direkt der App zuordnen. Auch solche Intransparenz kann eben dann genutzt werden, damit du einfach gar nicht erst auf die Idee kommst, dich abzumelden.
Joubin Rahimi:
So etwas wird, glaube ich, recht häufig genutzt. Wenn ich dann so überlege, was war denn das? Ach, das war das. Was sind so positive Bereiche, wo Du sagst, das kann man machen? Dieses Digital Nudging, so ein, zwei Beispiele. Das sind positive Sachen, die jedem Shopbetreiber helfen, die auch wirklich eine Auswahl lassen und nicht jemanden zwingen, dann irgendwann einen Brief zu schicken oder zu faxen, nach dem Motto, wir akzeptieren nur Fax oder handschriftlich geschriebene Kündigung, am besten noch mit Füllfederhalter unterschrieben.
Katja Moritz:
Das ist sehr vielfältig, wie man diese Prinzipien einsetzen kann. Als Beispiel könnte ich jetzt das Framing nehmen. Die Art und Weise, wie du Informationen darstellst, kann dann beeinflussen, wie nimmst du sie wahr und wie wertest du sie dann für dich am Ende aus? Das heißt, wenn du vielleicht mehrere Optionen anbietest und die eine ein bisschen größer darstellst, weil das diejenige ist, die am meisten gekauft wird, dann vielleicht noch dazu schreibst, das ist unser Topseller, das beliebteste Produkt. Da hast du jetzt wahrscheinlich schon alleine fünf bis zehn Prinzipien in diesem einen Beispiel drin. Die kannst du dann aber eben für dich nutzen, um auf ganz einfache Weise bestimmte Eigenschaften hervorzuheben. Das heißt, der Nutzer, der auf die Seite kommt, sieht sich zum einen darin bestätigt, damit kann ich nicht so viel falsch machen, andere finden das auch toll, das muss ja anscheinend funktionieren, wenn so viele Leute das auch gut finden und häufig nutzen. Und du hast dann in diesem Beispiel immer die Möglichkeit, dich auch für andere Optionen zu entscheiden. Also vielleicht für etwas Günstigeres oder etwas Teureres. Aber es ist schon ganz klar, das ist eigentlich so die Zielrichtung, wo es hingehen soll. Da kann man auch viel mit Farben arbeiten. Du sagtest es gerade schon, den Cookie-Banner, den Akzeptieren-Button oder eine Newsletter-Anmeldung grün hinterlegen. Grün ist für uns ja immer etwas Gutes – Ampel ist rot, stopp, Ampel ist grün, wir dürfen gehen. Dann konnotieren wir diese Farbe eben auch mit etwas Positivem und nicht mit Warnsignalen. Und deswegen kann es dann auch sein, dass der Newsletter vielleicht öfters abonniert wird, wenn der Anmelde-Button grün hinterlegt ist.
Joubin Rahimi:
Danke dafür, dann habe ich noch eine andere Frage, weg vom Newsletter, hin zu komplexen Sachen wie eine Autokonfiguration: Das ist mir aufgefallen, dass die Hersteller gerade sehr viel verändern. Bei Volvo gibt es nur noch bestimmte grobe Pakete und dann kann man Farbe und noch die Felgen aussuchen, drei, vier andere Sachen und das war's. Also diesen Prozess sehr stark vereinfachen. Auch ein Tesla beispielsweise. Die deutschen Hersteller, gerade Audi, BMW, Mercedes, die haben Listen wie so eine Steuernovelle, also relativ lang und die Kombinationen sind auch komplex, sodass man daher immer ein Studium brauchte. Jetzt fangen sie aber an zu sagen, das sind die für dich empfohlenen Topseller. Und das finde ich wahnsinnig spannend, weil da machen die ja auch etwas mit einem. Ist das schon Nudging oder sind das andere Prinzipien?
Katja Moritz:
Hast du die Möglichkeit, dich anders zu entscheiden?
Joubin Rahimi:
Immer, ja.
Katja Moritz:
Okay, ja dann ...
Joubin Rahimi:
... dann ist es Nudging, wie beim Obst.
Katja Moritz:
Ja, du hast dann vielleicht immer in irgendeiner Form Kosten, ob das jetzt der Euro für den Schokoriegel ist oder einfach die Zeit, die du investierst, um dich mit bestimmten anderen Zusammenstellungen auseinanderzusetzen. Aber da du ja immer die Auswahl hast und quasi nur eine Option gehighlighted wird, ist es im Prinzip Nudging.
Joubin Rahimi:
Also Nudging ist im digitalen Umfeld schon überall. Man muss es nur erkennen. Und ich als Shopbetreiber darf auch wissen, wie kann ich das dann für mich nutzen? Gibt es vom Persönlichkeitstyp her Unterschiede, wie ich nudgen sollte?
Katja Moritz:
Auf jeden Fall. Also jemand, der vielleicht sehr preissensibel ist, den kann man da natürlich eher auf Filter hinweisen, die dann die Preissequenz eingrenzen, die dann vielleicht Produkte hervorheben im Sale-Bereich. Und jemand, der eher zielstrebig als Käufer unterwegs ist, den sollte man vielleicht auch einfach in Ruhe lassen, weil den das eher davon abhält, sein eigentliches Ziel zu erfüllen und ein Produkt zu kaufen. Da ist auf jeden Fall wichtig, dass man die Nudges gezielt für bestimmte Kundengruppen einsetzt, um sie dann eben nicht zu überfordern oder zu stark zu vereinfachen. Und da muss man eben ganz genau schauen, was habe ich für Kunden in meinem Shop? Wie verhalten die sich gerade akut in der Situation und wie kann ich ihnen dann da eben weiterhelfen?
Joubin Rahimi:
Super. Apropos weiterhelfen, vielleicht hast Du noch eine Anekdote, eine Geschichte für unsere Zuhörer, damit die sagen, das kann man ganz gut mitnehmen, das kann man wahrscheinlich einfach implementieren. Eine wertvolle Geschichte aus Deiner Arbeit oder der Arbeit Deiner Kollegen.
Katja Moritz:
Was auf jeden Fall sehr empfehlenswert ist, ist, gute Produkte hervorzuheben. Das heißt, ein gutes Produkt kann dann eben sein, dass es besonders oft gekauft wird, dass es besonders gut bewertet wird. Und da auch die Transparenz dafür zu schaffen. Wenn man zum Beispiel einen Hinweis ausspielt, der sagt, dieses Produkt ist in irgendeiner Weise wertvoll, dann weiß ich als Nutzer vielleicht gar nicht, ist das jetzt auch mein Bewertungskriterium? Beispiel: Ich möchte ein Hotel buchen und ich schaue mir Bewertungen an. Einige Nutzer geben nur einen Stern und schreiben, die Parkplätze sind total ätzend und superweit weg. Dann ist das für mich aber vielleicht in dem Moment gar nicht relevant. Und dadurch, dass ich diese anderen Bewertungen sehen kann und die Transparenz vorhanden ist, kann ich für mich bewerten, ist es etwas, das auch gerade für mich aussagekräftig ist? Wenn ich diese Bewertungen dann ausklammere, weil ich gar nicht mit dem Auto zum Hotel fahre, dann habe ich vielleicht nur noch positive Bewertungen. Also, da ist auch wichtig, diese Dimensionen noch mal darzustellen. In welcher Hinsicht ist es denn besonders? Ist es wirklich besonders häufig angesehen? Ist es besonders oft gekauft? Wird es besonders selten retourniert? Da ist eben auch wichtig, diese Transparenz darzustellen, damit der Nutzer für sich selbst entscheiden kann, ist es wirklich ein Aspekt, der mir persönlich wichtig ist?
Joubin Rahimi:
Super. Danke. Ich hoffe, das hat nicht nur mich weitergebracht, sondern auch Euch. Bei Fragen zu Eurem Shop oder zu Nudging-Ideen, gerne unten in die Kommentare rein oder direkt per Nachricht, per Direct Message. Wir freuen uns beide, Euch bei der nächsten Session wieder dabei zu haben!