insights! #98: Machine Learning: Wer steuert hier eigentlich wen – Kunde oder Algorithmus?

Machine Learning verändert den E-Commerce nachhaltig. Doch während die Technologie neue Möglichkeiten schafft, wirft sie auch Fragen auf: Werden Onlineshops dadurch austauschbar? Geht der persönliche Touch verloren? Und wie steht es um Datenschutz und faire Preise? Diesen Fragen habe ich mich im Interview mit der freien Journalistin, Sonja Fuhrmann, gestellt und für dich beantwortet.

Machine Learning kann das Kundenerlebnis auf ein neues Niveau heben – doch es erfordert eine Balance zwischen Fortschritt und Fairness.

Joubin Rahimi CEO synaigy

Individualität trotz standardisierter Technologie

Machine Learning basiert auf neuronalen Netzen, die Daten verarbeiten und individuelle Ergebnisse liefern. Zwar nutzen viele Shops ähnliche Technologien, doch die Daten, die sie verarbeiten, sind unterschiedlich. Faktoren wie Suchverhalten, Uhrzeit des Besuchs oder die Geschwindigkeit der Interaktion beeinflussen das Ergebnis. Dadurch bleibt das Kundenerlebnis individuell, auch wenn die zugrunde liegende Technik standardisiert ist. Allerdings führt die Nutzung dieser Tools dazu, dass sich die Qualität der Shops insgesamt verbessert – was aus der Distanz betrachtet eine gewisse Ähnlichkeit erzeugen kann.

Der persönliche Touchs im digitalen Raum

Der persönliche Touch im Kundenservice wird oft als Ideal beschworen. Tools wie brytes versuchen, diese Lücke zu schließen, indem sie die „digitale Körpersprache“ der Nutzer analysieren. Beispielsweise erkennt ein solches Tool, ob ein Kunde Schwierigkeiten hat, ein Produkt zu finden, oder ob er gezielt nach einem bestimmten Artikel sucht. Diese Erkenntnisse ermöglichen eine gezieltere Unterstützung und schaffen ein Gefühl von Personalisierung – auch wenn es sich dabei nicht um echte menschliche Interaktion handelt.

Datenschutz und dynamische Preise: Die Schattenseiten

Die Nutzung von Machine Learning im E-Commerce wirft auch ethische Fragen auf. Jeder Klick wird analysiert, was eine Art Überwachungskultur schafft. Zwar können Nutzer dies über Cookie-Einstellungen regulieren, doch der Komfort, den diese Technologien bieten, führt oft dazu, dass die Zustimmung erteilt wird. Ein weiteres kontroverses Thema sind dynamische Preise. Zwei Kunden können für dasselbe Produkt unterschiedliche Preise zahlen, abhängig von Faktoren wie Standort, Gerät oder Kaufverhalten. Während Händler dies als Möglichkeit zur Umsatzmaximierung sehen, kann es bei Kunden das Gefühl der Ungerechtigkeit erzeugen – insbesondere, wenn sie später erfahren, dass andere weniger gezahlt haben.

Umsatzoptimierung versus Kundenbindung

Machine Learning ermöglicht es Händlern, den Umsatz effizient zu optimieren. Doch birgt dies die Gefahr, dass die Kundenbindung in den Hintergrund rückt? Joubin Rahimi betont, dass die Akzeptanz dynamischer Preise stark vom subjektiven Empfinden der Kunden abhängt. Wenn sie das Gefühl haben, einen fairen Preis für ein gutes Produkt zu zahlen, ist die Zufriedenheit hoch. Doch wenn sie sich übervorteilt fühlen, kann dies langfristig das Vertrauen in den Händler untergraben.

Ein Beispiel aus der Praxis ist Tesla: Durch aggressive Preissenkungen hat das Unternehmen den Restwert seiner Fahrzeuge reduziert, was bei großen Fuhrparkbetreibern wie Sixt zu Unmut führte. Dies zeigt, dass Preispolitik nicht nur das individuelle Kundenerlebnis, sondern auch geschäftliche Beziehungen beeinflussen kann. Abseits der Diskussion um Preise und Datenschutz bietet Machine Learning auch Chancen, das Kundenerlebnis zu verbessern. Personalisierte Empfehlungen, intuitive Suchfunktionen und vorausschauende Angebote sind nur einige Beispiele dafür, wie die Technologie den Einkaufsprozess angenehmer und effizienter gestalten kann.

Fazit: Eine Balance zwischen Fortschritt und Fairness

Machine Learning im E-Commerce ist ein mächtiges Werkzeug, das sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringt. Die Technologie kann das Kundenerlebnis auf ein neues Niveau heben, doch sie erfordert auch einen verantwortungsvollen Umgang. Händler müssen eine Balance finden zwischen Umsatzoptimierung und Kundenbindung, zwischen Personalisierung und Datenschutz. Nur so kann das Potenzial von Machine Learning voll ausgeschöpft werden, ohne das Vertrauen der Kunden zu gefährden.

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Hier ist der Inhalt:

Sonja Fuhrmann

Machine Learning im Dienste des Kundenerlebnisses, Joubin, führt das nicht dazu, dass schlussendlich alle Onlineshops gleich werden?

 

Joubin Rahimi

Ja und nein. Mega spannende Frage in dem Zuge. Erst mal: Was ist Machine Learning in dem Zuge und auch gerade im Vergleich mit dem Kundenerlebnis? Machine Learning ist etwas wie ein neuronales Netz. Das heißt, wenn ich etwas eingebe, verarbeitet es auf Basis der Informationen, das es hat und spuckt ja was aus. Und bei Kundenerlebnissen geht es ja darum: „Was ist die Intention, die ich habe und wie kann ich es möglichst einfach oder erlebnisreich machen auf der anderen Seite? Selbst wenn die neuronalen Netze alle gleich sind, werden die Ergebnisse anders sein, weil die Daten, die natürlich in so einem neuronalen Netz zur Verfügung stehen, von Shop zu Shop unterschiedliche sind und weil die Rahmenparameter, die drumherum sind, also: Wann gehe ich auf den Shop, was suche ich, wie schnell suche ich, welche Themen habe ich dazu, auch andere sind. Das heißt, ich habe dann andere Erlebnisse. Deswegen ist es auf der einen Seite anders, aber alle Shops bewegen sich halt auf ein höheres Niveau und insofern, wenn man es mit einer gewissen Entfernung betrachtet, ist es doch wieder sehr ähnlich.

 

Sonja Fuhrmann

Okay. Ich persönlich weiß nicht, wie es euch geht. Ich mag ja den persönlichen Touch im Kundenservice. Geht der dadurch nicht verloren, Joubin?

 

Joubin Rahimi

Also A: Den finde ich auch viel, viel cooler. Oder ich bin im Bedarfsmodus und einfach durch, aber erst mal würde ich sagen, den gab es noch gar nicht im digitalen Umfeld. Da möchte ich erst noch mal in die Lanze brechen für Tools wie brytes. Informationen packen wir unten rein, denn so ein Tool erkennt die digitale Körpersprache. Und das haben wir bisher ja nicht. Beispielsweise, du hast eine Suche und du tippst was ein und hast Suchergebnisse und tippst wieder was ein, wieder Suchergebnisse, dann wird es so aussehen, als ob du nicht das findest, was du suchst. Und wenn man das erkennt, kann man sagen: Suche bitte, Filter und so weiter. Wenn du aber etwas eingibst, wie einen Produktnamen, ganz, ganz detailliert oder eine Artikelnummer, dann weiß man, du willst diesen Artikel haben. Und dann kann man natürlich ganz anders auch auf der Webseite dich unterstützen. Und das gibt es noch gar nicht. Und ich glaube, das fühlt sich dann schon personalisierter an und persönlicher - ist es aber natürlich nicht.

 

Sonja Fuhrmann

Aber dafür gibt es natürlich einen Preis. Führt Machine Learning nicht zu einer Überwachungskultur, wo jeder Klick analysiert wird?

 

Joubin Rahimi

Also erst mal: Das Gute daran: Wir werden schon alle überwacht. Wir können es ja auch per Cookie Consent ausschalten. Insofern, das haben wir schon. Ich glaube aber, dass immer mehr Menschen es dann anlassen werden, weil viele Sachen einfach so viel komfortabler sind. Richtung Preis ist natürlich eine ganz spannende Frage, weil Preise werden ja auch immer wieder dynamisch vergeben.

 

Sonja Fuhrmann

Total fies. Angenommen, wir beide würden jetzt diesen Blumenstrauß kaufen – kennt ihr vielleicht zu Hause auch –, zahlen wir beide wahrscheinlich einen unterschiedlichen Preis. Ist das nicht voll unfair?

 

Joubin Rahimi

Die Frage ist ja, wen du fragst. Klar. Wenn du den Händler fragt, sagt er: Ich maximiere den Abverkauf oder den Umsatz oder die Rendite dadurch. Und die Antwort ist gar nicht so einfach in dem Konstrukt. Wenn du, so ein Strauß, der ist ja von einem schwedischen Möbelhersteller, der kostet dann überall in Deutschland das Gleiche, außer du hast die Family Card, glaube ich. Und das ist okay. Wenn du aber wenn du Preise hast, wie Flugreisen, dann kennen wir das alle. Und manchmal ist es halt sehr, sehr ungünstig gemacht worden, weil man sagt, jeder, der mit einem Apple-Produkt draufgeht, der bekommt einen höheren Preis, als die nicht-Apple-Nutzer, die aus München da sind, zahlen mehr, als wenn ich mich aus Mecklenburg-Vorpommern mit einem älteren Windows-Gerät einlogge. Da ist es etwas, wo quasi der Gewinn abgeschöpft wird. Kann man moralisch für sich betrachten, wie man möchte. Also im B2B ist das ja sogar eher üblich. Auf der anderen Seite ist da aber auch relativ viel Musik drin, wenn ich sage, ich betrachte nicht nur einen Artikel, sondern ich kaufe einen Bundle. Und dann geht es ja eher darum, dass Menschen mehr kaufen, also entweder was weiß ich, Kleidung, Hose, Schuhe.

 

Joubin Rahimi

Dann geht es die Menge.

 

Sonja Fuhrmann

Um die Menge. Und dann bin ich auch bereit, einfach zu sagen: Okay, dann gebe ich einen besseren Preis. Dann profitiert der Mensch davon und auch gleichzeitig der Händler.

 

Joubin Rahimi

Klar, in Unternehmen geht es natürlich ihren Gewinn. Befürchtest du nicht, dass durch Machine Learning die Umsatzoptimierung im Vordergrund steht und Kundenbindung vielleicht ein Hintergrund gerät?

 

Sonja Fuhrmann

Ja, ich glaube, die Umsatzoptimierung, die haben wir überall und ich glaube, das ist etwas, was jeder der e-Commerce-Verantwortlich hier ist oder Geschäftsführer von einem Unternehmen, wo der Geschäftsführer für noch einen Inhaber oder Private Equity oder für die Aktionäre arbeitet, so oder so das machen muss und das schon tut.

 

Joubin Rahimi

Und das ist ein Tool, wo es noch einfacher fällt. Jetzt war deine Frage ja, aber geht es auf Kosten des Kundenerlebnisses? Ist ja auch wichtig. Ja, und ich sage mal, mit dem Preis ist es ja so, wenn ich das Gefühl habe, das ist es wert, zahle ich es ja total gerne. Wenn ich dann im Nachgang erfahre, dass es irgendwie günstiger geworden ist, dann ist es irgendwie blöd. Und es gibt ja Beispiele im Moment auch, wo sich viel verändert. Nehmen wir mal Tesla, die einen unsagbaren Preiskampf, ja gerade im Automarkt anfangen. Es ist ja so, dass einige sich dann ja auch davon trennen. Also Sixt hat ja gerade gesagt: „Wir nehmen keine Teslas mehr, weil das für mich nicht funktioniert. Große Fuhrpark-Besitzer, wie Unternehmen, die können genau das Gleiche sagen, weil die sagen: „Ich kaufe, und der Restwert ist jetzt deutlich niedriger. Insofern kostet mich das zu viel. Da führt es dann direkt auf das B2B-Kundenerlebnis, aber auch, wenn du dich veräppelt fühlst, kostet das Punkte. Das ist richtig. Das ist eine Gradwanderung. Das ist eine Gradwanderung, ja. Aber Machine Learning war ja auch die Frage: Damit kannst du aber auch Erlebnisse schaffen, die du vorher nicht hattest?

 

Joubin Rahimi

Und das dann fernab von Preis. Und das ist natürlich das Spannende dabei.

 

Sonja Fuhrmann

Es ist spannend und hat wie alles immer zwei Seiten im Leben. Vielen Dank, Joubin, für das Gespräch. Danke euch für eure Aufmerksamkeit.

 

Joubin Rahimi

Danke dir und wie immer freue ich mich auf Kommentare, Anmerkungen und Ideen und lasst uns einfach im Kommentarfeld hier unten diskutieren oder auch gerne als Direct Message.

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Joubin Rahimi
Managing Partner synaigy GmbH

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